SysDL 2.0: Plattform für Systemdienstleistungen aus den Verteilnetzen erfolgreich im Feldtest
Im Forschungsprojekt »SysDL 2.0« hat das Fraunhofer IEE zusammen mit Partnern eine Plattform entwickelt, mit dem Verteilnetz-Betreiber durch eine koordinierte Regelung dezentraler Erzeugungsanlagen die für den stabilen und sicheren Betrieb elektrischer Netze nötige Blindleistung bereitstellen können. Neben Steuerungs- und Optimierungsmodulen umfasst die Plattform auch die nötigen Komponenten für eine standardisierte Kommunikation zwischen Verteilnetz- und Übertragungsnetzbetreiber. In einem Feldtest haben die Forschungspartner abschließend die Praxistauglichkeit der Plattform unter Beweis gestellt. Das International Smart Grid Action Network (ISGAN) hat das Projekt kürzlich beim »Award of Excellence 2018« mit einer Bronzemedaille ausgezeichnet.
Mit dem schrittweisen Abschalten konventioneller Kraftwerke müssen die Systemdienstleistungen für das Übertragungsnetz mehr und mehr aus den Verteilnetzen kommen – dort speisen die meisten Erneuerbare-Energien-Anlagen ein. »Mit dem Fortschreiten der Energiewende sind die kleinen, dezentralen Erneuerbare-Energien-Anlagen im Verteilnetz immer stärker gefordert, Systemdienstleistungen für das Höchst- sowie das Hochspannungsnetz zu erbringen«, erklärt Dr. Sebastian Wende-von Berg, Experte für Netzplanung und Netzbetrieb am Fraunhofer-Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE in Kassel (vormals IWES). »Diese Entwicklung verlangt eine koordinierte Steuerung der Erzeugungsanlagen. Mit »SysDL 2.0« haben wir eine Plattform entwickelt, mit der Verteilnetzbetreiber dieser Aufgabe gerecht werden können.«
Neben dem Fraunhofer IEE waren die Drewag Netz GmbH als Konsortialführer sowie die Mitteldeutsche Netzgesellschaft Strom mbH, die 50Hertz Transmission GmbH, die F&S Prozessautomation GmbH, die Universität Kassel, die Technische Universität Dresden und die Siemens AG an »SysDL 2.0« direkt beteiligt. Finanziert wurde das 2018 abgeschlossene Projekt im Rahmen der Forschungsinitiative »Zukunftsfähige Stromnetze« vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie.
Situationsabhängige Sollwerte für Steuerung der Erzeugungsanlagen
In der konkreten Anwendung haben sich die Projektpartner neben Fragen wie der ÜNB-VNB-Kommunikation oder der informationstechnischen Anbindung von Erzeugungsanlagen speziell auf die Stabilisierung der Spannung und Optimierung der Verteilnetze durch Blindleistung fokussiert. »Da die Erzeugungsstruktur in den Verteilnetzen sehr kleinteilig ist und die Netze zudem eng vermascht sind, sucht sich die Energie vielerlei Wege zu den Verbindungspunkten mit dem Übertragungsnetz. Diese Flüsse müssen koordiniert werden. Nur so lässt sich gewährleisten, dass die Blindleistung dort zur Verfügung steht, wo sie gebraucht wird«, erläutert Wende-von Berg. »Dass das funktionieren kann, wurde im Vorfeld am Schreibtisch in der Theorie studiert und mit unserer Testumgebung »OpSim« eingehend getestet.« Die vom Fraunhofer IEE und der Universität Kassel gemeinsam entwickelte Test- und Simulationsumgebung »OpSim« ermöglicht Nutzern, ihre Software mit simulierten Stromnetzen zu verbinden und entweder einzeln oder in Kombination mit anderer Software zu testen.
SysDL 2.0 unterstützt Spannungshaltung
Die von den Projektpartnern entwickelte Plattform »SysDL 2.0« liefert den Netzbetreibern situationsabhängige Sollwerte, mit denen sie die Erneuerbare-Energien-Anlagen so steuern können, dass diese die Spannungshaltung unterstützen. Diese Sollwerte ermittelt das System auf Basis statischer und dynamischer Netz- und Erzeugungsdaten, die mit mehreren, im Forschungsprojekt entwickelten Modulen verarbeitet werden. Dazu zählen unter anderem eine Lösung für die aufgabenspezifische Darstellung der Netztopologie, eine Komponente für die Zustandsbeschreibung der Netze, Prognoseverfahren sowohl für die Wind- und Solarstromerzeugung als auch für die vertikalen Lastflüsse zwischen der Hoch- und Mittelspannungsebene sowie ein Algorithmus zur Koordinierung von Blindleistung. Über eine grafische Nutzeroberfläche können Netzbetreiber Anwendungsfälle definieren und auf die Sollwerte für die Regelung der Erzeugungsanlagen zugreifen.
Infrastruktur für den standardisierten Datenaustausch
Zu den zentralen Aufgaben der Kasseler Fraunhofer-Forscher innerhalb der SysDL 2.0-Projektgruppe zählte neben der Entwicklung innovativer Betriebsführungen, die Entwicklung der Kommunikations-Infrastruktur. »Mit der zunehmenden Einspeisung von Strom aus dezentralen Anlagen vermischen sich die früher klar getrennten Rollen der Verteil- und der Übertragungsnetzbetreiber. Damit wird die Kommunikation zwischen ihnen immer wichtiger. Sie müssen möglichst standardisiert eine Vielzahl von Informationen austauschen – zum Beispiel darüber, wo wann wie viel Blindleistung zur Verfügung steht. Die Organisation dieses Informationsflusses gehört zu den Kern-Funktionalitäten von SysDL 2.0«, erklärt Wende-von Berg.
Das System stellt mithilfe eines einheitlichen Datenmodells sicher, dass die Steuerungs- und Optimierungsmodule mit einheitlichen Echtzeit-Informationen aus den Leitwarten arbeiten. Übertragen werden die Daten über standardisierte Schnittstellen auf Basis von CIM CGMES. Eigens entwickelte Module innerhalb eines Enterprise Service Bus (ESB) koordinieren die ein- und ausgehenden Datenströme. Die Kombination von einheitlichem Datenmodell und ESB-Technologie schafft die nötige Flexibilität, um bei Bedarf neue Funktionalitäten einzubinden und die Plattform für künftige Aufgaben weiter zu entwickeln. Diese Entwicklung bietet das Fraunhofer IEE unter dem Akronym »beeDIP« an. »beeDIP« steht für Betriebsführungs- und Energiemanagement Datenintegrationsplattform und wird in Zukunft dabei helfen, Entwicklungen aus Wissenschaft und Forschung schneller und einfacher an Leitwarten und Reallabore anzubinden.
SysDL 2.0: Plattform für Systemdienstleistungen aus Verteilnetzen
»Mit der im Projekt SysDL 2.0 neu entwickelten und im Feldtest validierten Demonstratorplattform für Netzbetriebsführungen sind wir nun in der Lage, neue Algorithmen und Betriebsführungsansätze, auch von dritten Forschungspartnern, schnell in die Feldtestanwendung bei Netzbetreibern zu bringen. Wir beschleunigen damit den Transfer von Ergebnissen aus der Forschung in die reale Anwendung«, so das abschließende Fazit von Prof. Dr. Martin Braun der in Personalunion an der Universität Kassel das Fachgebiet Energiemanagement und Betrieb elektrischer Netze und am Fraunhofer IEE die Abteilung Netzplanung und Netzbetrieb leitet.