Fraunhofer ISI
Nachhaltige Energieversorgung in Entwicklungs- und Schwellenländern: Welche Bedarfe gibt es?
Eine neue Studie des Fraunhofer ISI und des Instituts für Ressourceneffizienz und Energiestrategien (IREES) hat den Bewertungsrahmen für Stromzugangsbedingungen in Schwellen- und Entwicklungsländern geprüft, der für das Monitoring zur Erreichung der UN-Nachhaltigkeitsziele genutzt wird. Der entwickelte Ansatz bezieht die produktive Nutzung von Elektrizität mit ein, die eine zentrale Rolle für die wirtschaftliche Entwicklung und das Erreichen von Klimazielen spielt. Die Studie soll helfen, unterschiedliche Bedarfe bei der Stromversorgung von Haushalten bis hin zu gewerblichen und industriellen Anwendungen abzubilden und zur Umsetzung nachhaltiger Energiestrategien beitragen.
Im Jahr 2016 verabschiedeten die Vereinten Nationen im Rahmen der UN-Agenda 2030 mit den Sustainable Development Goals (kurz SDGs) 17 Ziele für eine globale nachhaltige Entwicklung. Das siebte Ziel »Bezahlbare und saubere Energie« (SDG7) zielt dabei auf einen universellen Zugang der Weltbevölkerung zu erschwinglicher, zuverlässiger und nachhaltiger Energie sowie eine Erhöhung des globalen Anteils Erneuerbarer Energien und der Energieeffizienz ab. Ein verbesserter Zugang zu Strom, insbesondere für produktive Zwecke und nicht nur zur Deckung von Haushaltsbedarfen, kann Arbeitsplätze schaffen und zur wirtschaftlichen Entwicklung weltweit – insbesondere aber in Entwicklungs- und Schwellenländern – beitragen.
Die Fortschritte zur Erreichung des SDG-Ziels »Bezahlbare und saubere Energie« der UN werden derzeit auf Grundlage eines mehrstufigen Bewertungssystems, des sogenannten »Multi-Tier Framework« (MTF), zur Bewertung der Stromzugangsbedingungen auf nationaler Ebene gemessen. Das zugrundeliegende und auf fünf Stufen basierende Monitoring zielt bisher vor allem auf die Nutzung von Anwendungen in privaten Haushalten wie etwa von Beleuchtungs-, Kommunikations- oder Haushaltsgeräten ab. Es ermöglicht aber keine systematische und vergleichbare Bewertung der Stromzugangsbedingungen für die private und produktive Nutzung.
Neue Studie berücksichtigt produktive Nutzung von Elektrizität
In diesem Kontext führte das Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI gemeinsam mit dem Institut für Ressourceneffizienz und Energiestrategien (IREES) eine Studie durch, die den derzeitigen Bewertungsrahmen überprüft und einen neuen Ansatz entwickelt, der auch die produktive Nutzung von Elektrizität in Entwicklungs- und Schwellenländern berücksichtigt. Die im Auftrag der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) durchgeführte Studie soll zu einem besseren Verständnis des Stromversorgungsbedarfs unterschiedlicher Nutzertypen – von Haushalten bis hin zu gewerblichen und industriellen Anwendungen – beitragen und die Umsetzung nachhaltiger und bedarfsgerechter Energieversorgungslösungen unterstützen. Da die wachsende produktive Nutzung von Elektrizität in Schwellenländern eine bedeutende Rolle für die Entwicklung globaler Treibhausgasemissionen spielt, ist eine strategische Planung nachhaltiger Energiestrategien, im Einklang mit Strategien zur Bekämpfung des Klimawandels, von besonders großer Bedeutung.
Eine wesentliche Empfehlung der Studie »Bedarfsgerechte nachhaltige Energieversorgung. Ein Vorschlag zur Erweiterung des Multi-Tier Frameworks zum Monitoring des SDG7« besteht daher darin, den bisherigen Bewertungsrahmen für Stromzugangsbedingungen in Entwicklungs- und Schwellenländern grundlegend zu überarbeiten. Neben dem Haushaltssektor werden darin auch die Bedingungen für verschiedene gewerbliche Aktivitäten, von kleinen Familienunternehmen bis hin zu industrieller Produktion, systematisch einbezogen. Die Studienautorinnen und -autoren plädieren dafür, die fünf bereits existierenden Bewertungsstufen zu überarbeiten und um fünf zusätzliche zu ergänzen. Diese Erweiterung hilft insbesondere bei der Erfassung der technischen Anforderungen hinsichtlich des Stromzugangs für ein breites Spektrum von Geschäftsaktivitäten entlang von Wertschöpfungsketten.
Dr. Inga Boie, Leiterin der Studie am Fraunhofer ISI, erklärt, warum ein ganzheitlicher Bewertungsrahmen für den Stromzugang in Entwicklungs- und Schwellenländern so wichtig ist: »Die produktive Nutzung von Elektrizität umfasst viele Aktivitäten, die etwa von Wasseraufbereitung in der Landwirtschaft, der Verarbeitung landwirtschaftlicher Produkte, der Erbringung verschiedener Dienstleitungen und Herstellung von Gütern bis hin zu großindustrieller Produktion reichen können. Insbesondere in Entwicklungs- und Schwellenländern sind die Übergänge zwischen der privaten und produktiven Nutzung von Strom aber fließend, da kleine Familienbetriebe und der informelle Sektor hier eine große Rolle spielen. Um einem steigenden Stromverbrauch in diesen Ländern mit bedarfsgerechten und nachhaltigen Energiestrategien begegnen zu können, ist daher ein Bewertungsrahmen, der die systematische Erfassung der Bedarfe privater und produktiver Nutzer von Elektrizität berücksichtigt, sehr wichtig.«
Ganzheitliches Bild zur Bewertung der Stromzugangsbedingungen
Durch die Einbeziehung eines breiten Spektrums potenzieller Wirtschaftsaktivitäten auf Basis der Energieintensität und der vorherrschenden Prozesstechnologien der wichtigsten Industriesektoren entsteht ein ganzheitliches Bild zur Bewertung der erforderlichen Stromzugangsbedingungen. Dabei wird nicht ausschließlich der Status quo der wirtschaftlichen Aktivitäten in Entwicklungsländern berücksichtigt, sondern auch die Anforderungen potenzieller Zukunftsbranchen und die Orientierung an Weltmarktstandards einbezogen. Zudem schafft die Studie eine wichtige Grundlage dafür, in Zukunft umfassend Daten auf Länderebene für die jeweiligen Bewertungsstufen zu erheben. Dies könnte wiederum zu einer verbesserten Abstimmung von Strategien zur wirtschaftlichen Entwicklung in Entwicklungs- und Schwellenländern mit nationalen Strategien zur Bekämpfung des Klimawandels beitragen.